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DER AUSSTELLUNGSHÖHEPUNKT
ZUM JAHRESWECHSEL
Der Akt ist eines der ältesten und faszinierendsten Motive in der
bildenden Kunst überhaupt. Von der Rolle des antikisierenden Ideals oder
passiven Modells für christliche und mythologische Themen befreit, erlebt
der Akt in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine bis dahin ungeahnte
differenzierte Erweiterung seiner inhaltlichen und formalen Ausdrucksmöglichkeiten.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem nackten Körper erhält
damit einen neuen Sinn: Der Begriff »Akt« steht im 20. Jahrhundert für
die ganze Breite künstlerischer Darstellungen des nackten Körpers vom
naturalistischen Abbild bis zum »Körperbewußtseinsbild«, von der
Vergewisserung des eigenen Körpers bis zum entgrenzenden Experiment.
Mit über 200 Leihgaben aus internationalen Museen und Privatbesitz
von mehr als 90 namhaften Künstlern bietet die bislang größte
Ausstellung der Kunsthalle in Emden einen umfassenden Überblick auf die
großartige Vielfalt der Aktkunst des 20. Jahrhunderts bis in die
Gegenwart. Unter den präsentierten Künstlern finden sich bekannte Namen
wie Paul Cézanne, Auguste Renoir, Paula Modersohn-Becker, Pierre Bonnard,
Pablo Picasso, Man Ray, Ernst Ludwig Kirchner, Imogen Cunningham, Egon
Schiele, Suzanne Valadon, Edvard Munch, Otto Dix, Alberto Giacometti,
Willem de Kooning, Yves Klein, Tom Wesselmann, Louise Bourgeois, Francis
Bacon, Henry Moore, Kiki Smith, Lucian Freud, Marlene Dumas, Nobuyoshi
Araki, Bettina Rheims und Bill Viola, aber auch zahlreiche bislang weniger
bekannte Künstler, deren Arbeiten ganz neue Perspektiven auf die Thematik
öffnen.
Das Motiv des unbekleideten Körpers bietet geradezu unerschöpfliche
Möglichkeiten, die Sicht des Menschen auf sich selbst, seine Ideale, Ängste,
Hoffnungen und Träume darzustellen. Im gleichen Maße, wie der körperlich
aktive Mensch im 20. Jahrhundert durch Industrialisierung und
Rationalisierung an Bedeutung verliert, avanciert der Körper in der Kunst
zum zentralen Thema: Sein drohendes Verschwinden in der Wirklichkeit
scheint seine Rehabilitierung in der Kunst zur Folge zu haben. Die Künstler
suchen nach immer neuen Ausdrucksformen, die sich mit dem Körper in
unterschiedlichsten Kontexten befassen.
Zugunsten einer spannungsreichen Gegenüberstellung ganz
unterschiedlicher Kunstwerke sieht die Ausstellung bewusst von einer
chronologischen und stilistischen Gliederung ab. So treten etwa hochkarätige
Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen der klassischen Moderne in einen
Dialog mit Fotografien, Videoarbeiten und Installationen der Gegenwart.
Die Ausstellung macht Konstanten, Brüche und Innovationen auf spannende
Weise erkennbar und untersucht, wie die Kunst des 20. Jahrhunderts mit dem
Motiv des nackten Körpers umgeht, welche Fragen die Künstler beschäftigen,
welche Möglichkeiten sie sich erarbeiten, wie sie den Körper einsetzen
und, nicht zuletzt, welche Tabus sie brechen.
Der Kult um Ernährung, Sport, Schönheit und Sexualität hat in
den westlichen Wohlstandsgesellschaften großen Einfluss auf den Alltag
gewonnen. Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper nimmt einen zentralen
Platz im privaten Leben ein. Nach der technischen steht seine
gentechnische Eroberung offenbar kurz bevor. Die medizinischen
Fortschritte eröffnen enorme Möglichkeiten der Heilung und Veränderung
des Körpers. Trotz der Bilderflut nackter Menschen in den Massenmedien
hat der Akt in der Kunst nichts von seiner Brisanz verloren.
Nicht zuletzt durch die Kunst ist der Körper im 20. Jahrhundert
zum »Ort der persönlichen Identität« geworden. Im Spannungsfeld stets
wechselnder ästhetischer, moralischer, wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Normen ist die Aktkunst eine Reflexionsfläche und ein
Impulsgeber für Entwürfe und ein kontinuierliches Korrektiv der
Definition des Menschen. Als einzig verbleibender Ort des vermeintlich
Wahren und Authentischen ist der Körper des Menschen, dessen Fühlen und
Erleben im 20. Jahrhundert in das Zentrum verschiedenster Interessen gerückt.
Wie im Leben wird der Körper auch in der Kunst immer wieder auf die
abenteuerliche Reise zwischen Experiment und Vergewisserung geschickt.
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